Um was geht es?  Kurze Vorstellung markanter Brückenbauten der Kremmener Bahn

Brücken Klemkestraße: 1902—1907 Ausführung durch Hein, Lehmann & Co;

Brücken Kopenhagener Straße: 1904—1905 Ausführung durch Belter & Schneevogel;

Brücke Ernststraße: 1924 in Holzbauweise durch ?, 1963 Neubau durch Fa. Gossen, ersetzt 1983 durch Neubau wegen Autobahnbau

Was sagt das Beitragseinleitungsfoto aus?   Die Brücke über die Ernststraße am 8. Juni 1963. Wusste der unbekannte Fotograf von dem bevorstehenden Abriss der Brücke? Foto Archiv kremmener-bahn.net

 

  

 Professor Hans Hartung und seine Säulen

 

Brücken sind laut[1] Bauwerke, die z.B. Verkehrswege über Hindernisse führen sollen. Für diesen Zweck ist eine ästhetische Ausgestaltung dieses Bauwerks nicht nötig. Vor über 130 Jahren spielten ästhetische Belange noch eine Rolle. Die Brücken sollten sich optisch in das Stadtbild einfügen. Laut[2] waren die Brückenbauteile, die beim Bau der Berliner Ringbahn Verwendung fanden, für den damaligen zeitgeschmack zu nüchtern. Überführung der Verbindungsstraße zwischen Blumen- und Sralauer Straße mit Hartungschen Pendelsäulen. Zeichnung: Archiv Kremmener Bahn.netDeshalb lobte der Berliner Architektenverein 1880 für die Überführungen der sich im Bau befindlichen Berliner Stadtbahn einen Wettbewerb für Stützsäulen aus. Professor Hans Hartung setzte sich mit seinem Modell II durch. Die Säule wurde nach ihrem  Schöpfer Hartungsche Säule genannt. Ihre äußere Gestaltung lehnte sich an Motive der Antike entsprechend den damaligen Repräsentationsvorstellungen an. Außerdem war die Säule mit 269 Mark sehr günstig im Preis. Die Säulen wurden im Eisengussverfahren hergestellt. Eisenguss kann keine Biege-Zugspannung aufnehmen. Deshalb erhielten die Stützen im Kopfteil und Sockel Kugelgelenke und wurden als Pendelstützen eingesetzt.

Die Hartungschen Pendelsäulen wurden zum Standard beim Eisenbahnbrückenbau bis ca. 1910. Bei der Hochlegung der Kremmener Bahn 1905 bis Tegel erhielten alle Brücken dieser Strecke die Hartungschen Pendelsäulen. Die meisten Brücken wurden bei Sanierungen und Straßenbaumassnahmen (z.B. Eichborndamm/Antonienstraße 1977) durch moderne Brücken ersetzt. Die letzte Brücke, die sich auf der Kremmener Bahn bis März 2010 im Originalzustand erhielt, war die Zeichnung einer Hartungsche Säule. Zeichnung: Archiv Kremmener Bahn.netÜberführung über die Kopenhagener Straße in Berlin-Reinickendorf. Die Brücke stand laut Denkmalliste des Landes Berlin unter der Nr. 09012101 unter Denkmalschutz. Weil aber die Betriebssicherheit der 105 Jahre alten Brücke nicht mehr gewährleistet war, wurde die Brücke im März 2010 während der Streckensanierung durch eine Behelfsbrücke ersetzt.

 

Über sieben Brücken...

 

...nein, hier wird nicht auf den bekannten Musiktitel von Karat angespielt. Es handelt sich hier um die Brücken über die Klemkestraße beim Bahnhof Schönholz, die während der Hochlegung der Nordbahn und des dreigleisigen Ausbaus der Kremmener Bahn bis Tga 1905 errichtet wurden. Unter alten Eisenbahnern waren mit dem geflügelten Wort „bei den sieben Brücken" die vier Brücken der Nordbahn und die drei Brücken der Kremmener Bahn gemeint. Die achte Brücke, die das Verbindungsgleis Schönholz Wilhelmsruh der Niederbarnimer Eisenbahn AG über die Klemkestraße überführte, wurde nicht mitgezählt, da die Niederbarnimer Eisenbahn AG nicht zur Deutschen Reichsbahn gehörte (die Übernahme durch die Deutsche Reichsbahn der DDR zum 01. Juli 1950 lassen wir mal außen vor). Die Klemkestraße wurde im Bereich der Brücken durch den Mauerbau am 13. August 1961 zu einer bedeutungslosen Sandpiste herabgestuft. Hier hielten sich bis 1984/1985 die Originalbrücken aus der Zeit von 1905. Laut [4] wurden im September/Oktober 1985 die Brücken des ehemaligen Streckengleises Velten-Schönholz, des Streckenggleises der Nordbahn nach Oranienburg und die Brücke der Verbindung zur Niederbarnimer Eisenbahn abgerissen. Die Brücken der S-Bahngleise der Kremmener- und Nordbahn wurden schon 1984 erneuert. Einzig die Brücke des Ferngleises Schönholz-Tga der Kremmener Bahn blieb 1985 mit einer Geschwindigkeitsbeschränkung auf 10 km/h bestehen.

 

 Die Alpen in Borsigwalde?

 

Seit 1899 existierte für die Verbindung der Hempelstraße (seit ca 1911 in Neue Ernststraße umbenannt) mit der Gaswerkstraße ein Bahnübergang. Er blieb die ganze Zeit über nur ein Notbehelf, denn mit steigendem Verkehr war der Bahnübergang ständig geschlossen. Aber, der Bahnübergang sollte sowieso nur ein Provisorium bleiben. Als Anfang der 1920er Jahre die Planungen für die Hochlegung der Bahnhof Tegel konkret wurden, sollten Tunnel die beiden  Ortsteile Tegel und Borsigwalde miteinander verbinden. Die Deutsche Reichsbahn konnte durch die wirtschaftlich schwierigen Zeiten ab 1920 nur mit Mühe die Hochlegung und den zweigleisigen Ausbau nach Velten durchführen. Für die Hochlegung des Bahnhof Tegel reichten die Finanzmittel nicht mehr. Als Kompromiss für den ständig geschlossenen Bahnübergang Gaswerkstraße/Neue Ernststraße wurde 1924 eine Brücke gebaut und der Bahnübergang aufgelassen. Diese Holzbrücke wurde im Volksmund wegen ihrer steilen Treppen „Borsigwalder Alpen" oder „Schwindsuchtbrücke" genannt. Diese Brücke existierte bis 1965. Im Februar 1965 wurde die erste Brücke (vermutlich wegen Baufälligkeit) durch eine Eisenkonstruktion mit Betonstufen ersetzt. Die Brücke wurde durch die Reinickendorfer Firma Gossen (Flottenstraße 5-8) errichtet.[5] Diese Brücke musste wegen dem Autobahnbahnbau 1983 weichen. Seit dem 01. September 1983 ist die Brücke für Fußgänger freigegeben. Die Baukosten betrugen 1,8 Mio DM.[6] Auffällig an dieser Brücke sind die schneckenförmigen Zugangsrampen. Dadurch können auch beieinträchtigte Bürger im Rollstuhl diese Brücke benutzen. Eine ähnliche Brücke befindet sich nahe dem S Bahnhof Sundgauer Straße am Colmarer Weg. 1987 wurde die Brücke Ernststraße mit der noch heute zu sehenden Bemalung versehen.

 

 

 

Situation Gaswerkstraße/Neue Ernststraße ca 1925. Karte: Sammlung Lars MolzbergerSituation Gaswerkstraße/Neue Ernststraße ca 1925. Karte: Sammlung Lars Molzberger

 

Die Brücken über die Havel

 

Die Kremmener Bahn wurde auf verhältnismäßig einfachen landschaftlichen Verhältnissen gebaut. Im Jahre 1893 gab es bis Velten gesehen nur zwei Überführungen: Die Brücke über die Ruppiner Chaussee und als größtes Bauwerk die Brücke über die Havel bei Hennigsdorf. Sie überspannte die Havel in einer lichten Weite von 45 m. Für die Auffahrt zur Brücke waren Rampen mit einer Steigung von 1:120 erforderlich. 1926 wurde eine optisch identische Brücke für den zweigleisigen Ausbau der Strecke Tegel - Velten gebaut. Die Brückenwiderlager der Brücke  von 1893 wurden 80 cm auf das Niveau der neuen Brücke angehoben. Am 15. Dezember 1926 wurde die neue Brücke in Betrieb genommen. [7]

 Die Kremmener Bahn hat den Zweiten Weltkrieg relativ gut überstanden. Schäden durch alliierte Bombentreffer waren marginal. Umso befremdlicher wirkt dann das Vorgehen der deutschen Wehrmacht kurz vor Ende der Kampfhandlungen am 08. Mai 1945: In dem Glauben, den Vormarsch der Sowjetarmee noch aufhalten zu können, sprengte die Wehrmacht am 22. April 1945 die beiden Havelbrücken der Kremmener Bahn. Hierzu ein Auszug aus [7] Seite 32-34:

 

„Beim Einmarsch der Sowjetarmee wurden am 22.4.1945, früh gegen 5 Uhr, beide Eisenbahnbrücken, also die nördliche von 1893 und die südliche von 1926, durch die Wehrmacht gesprengt. Es gingen aber nicht alle Ladungen los. Die Brücken standen noch, aber der Holzbelag, Schwellen und Stromschienenverkleidungen brannten. Dieses Feuer entzündete dann die restlichen Sprengladungen, und die Brücken knickten in der Mitte ein und lagen im Fluss. Oben in der Mitte der südlichen Brücke hatte die Wehrmacht bis 1945 einen Flakstand. Es war ein großer, doppelwandiger Holzkasten. In dem Hohlraum waren Sandsäcke als Deckung für die Mannschaft an der Vierlingsflak...

Im Sommer des Jahres 1945 wurden die Brücken in der Mitte durch Sprengungen und deutsche Helmtaucher mit Schneidbrennern geräumt. Im Französischen Sektor von Berlin lagerte eine Wehrmachtspionierbrücke. Diese Brücken wurden verschraubt und nicht vernietet. Die Franzosen erlaubten die Verwendung in der Sowjetischen Besatzungszone als Bahnbrücke nach Hennigsdorf... Der Neubau erfolgte auf den Widerlagern von 1893... Die Reinickendorfer Stahlbaufirma Gossen begann gegen Ende des Winters 1945/46 auf dem Bahndamm des östlichen Ufers eine etwa 80 m lange Brücke aufzustellen. Dies war das Gegengewicht. Es ging nun mit dem Kran im freien Vorbau auf die etwa 60 m entfernte Hennigsdorfer Seite. Man hatte darauf geachtet, dass die spätere Trennungsstelle am Ostufer richtig über dem Lager saß... Auf der Westseite angekommen stellte man beide Enden des Neubaus auf hydraulische Pressen, schraubte das Gegengewicht ab und senkte die Konstruktion auf die Rollenlager ab. Nach Zerlegung und Abtransport des Gegengewichts wurde die Brücke am 6.7. 1946 feierlich eingeweiht."

Anmerkung zum obigen Text: Die Fa. Gossen baute auch die zweite Brücke an der Ernststraße in Tegel, siehe oben.Diese Pionierbrücke blieb bis zum Mauerbau am 13. August 1961 in Betrieb. Danach wurde sie abgerissen, da sie im Grenzgebiet lag.

 Für die Wiedereröffnung der Strecke Tegel - Hennigsdorf im Jahre 1998 benötigte man eine neue Überführung über die Havel.  Die neue Brücke musste eine größere lichte Weite und Durchfahrtshöhe aufweisen, da die Wasserstraße für Europaschiffe ausgebaut werden sollte. Die Widerlager von 1893 und 1926 wurden komplett entfernt. Die alten Widerlager ruhten auf hölzernen Pfählen, die sogar noch intakt waren.[8] Auf der östlichen Seite wurde das Widerlager mehr als 20 m für die geplante Verbreiterung des Flußlaufs zurückgesetzt. Die neuen Widerlager gründen auf Stahlbetonpfählen. Die neue Brücke wurde im Stahlbau Dessau gebaut. Sie hat folgende Abmessungen:  Länge 85 m, Höhe 12,4 m, Durchfahrhöhe 5,25 m und 720 t Gewicht.[9]  Die Brücke ist von vornherein für zweigleisigen Betrieb ausgelegt. Am 27. Juli 1998 wurde die  Brücke durch Einschub im Roll- und Schwimmverfahren fertiggestellt.

Zum Abschluss die Brückengalerie

 

 

 Quellen und weitere Links

[1] Bertelsmann Lexikon in 15 Bänden, Band 3, Seite 7 

[2],[3] Wikipedia Hartungsche Säule - http://de.wikipedia.org/wiki/Hartungsche_S%C3%A4ule

[4] Berliner Verkehrsblätter 11/1985 Kurzmeldungen Seite 220

[5] Schlickeiser, Klaus Borsigwalde einst und jetzt 1989 Seiten 129-131

[6] Berliner Verkehrsblätter 10-11/1983 Kurzmeldungen Seite 252

[7] Roggensack, Dietrich, 500 Jahre Hennigsdorfer Havelbrücken 1506 bis 2006, Selbstverlag, Seite 31

[8] Berliner Verkehrsblätter 03/1998 Bauarbeiten auf der Kremmener Bahn Seite 45

[9]  Verkehrsgeschichtliche Blätter 02/2002 Lückenschluß nach Hennigsdorf Seite 37