Am 21. Mai 1976 war die Nordwestkurve der Industriebahn Tegel—Friedrichsfelde noch vorhanden. Peter Bley fotografierte das Titelbild

 

 

Die Anschlussbahnen der Kremmener Bahn

Bei der Inbetriebnahme der Kremmener Bahn am 1. Oktober 1893 als „Eisenbahn untergeordneter Bedeutung“ existierte keine nennenswerte Industrie an der Strecke. Das sollte sich bereits 3 Jahre später ändern. Berlin dehnte sich immer mehr in die Peripherie aus, was zur Folge hatte, dass der Industrie langsam der Platz im damaligen Stadtgebiet Berlin zu eng wurde. Die August Borsig AG zog daher 1898 von Moabit nach Tegel um. Weitere Industrie folgte dem Beispiel Borsigs. Im neu entstehenden Borsigwalde siedelte sich besonders metallverarbeitende Industrie an. Als Folge dessen erlebte die Kremmener Bahn einen Verkehrsanstieg, für den diese Nebenbahn gar nicht ausgelegt war und ihren Ausbau in eine Hauptbahn nur beschleunigte. Der Bahnhof Tegel hatte trotz seiner relativ geringen Größe die meisten Anschlüsse der Kremmener Bahn aufzuweisen. Bevor ich Ihnen diese Anschlüsse beschreibe, hier noch ein Hinweis zum Thema: Die Webseite www.gleistod.de beschäftigt sich ausführlich zu den Anschlussbahnen im Bezirk Reinickendorf.


 Der Beitrag bezieht sich auf die Anschlussbahnen des Bahnhofs Tegel. Die Vervollständigung erfolgt zu einem späteren Zeitpunkt

 

Die Anschlussbahnen des Bahnhofs Tegel auf einer Karte ca. 1940: Grün: Borsigwerkbahn, blau: Anschlussbahn Gaswerk Tegel, gelb: Eisenbahnbetriebsgesellschaft Borsigwalde GmbH und rot: Bahnbetriebsgesesellschaft Borsigwalde Gmbh

 

 

Anschlussbahn des Gaswerks der Gemeinde Tegel 

Am 23. Mai 1963 war das ehemalige Gaswerk Tegel bis auf dem Gasometer noch vorhanden. Foto Slg Lars Molzberger


1896 baute die aufstrebende Gemeinde Tegel ihr eigenes Gaswerk an der Gaswerkstraße 3-7 (heute Ernststraße). Diese Anschlussbahn dürfte die Erste gewesen sein, die an den Bahnhof Tegel angeschlossen wurde. Nach der  Gründung Groß-Berlins stellte das Gaswerk 1920 seinen Betrieb ein. Die Gasversorgung von Tegel wurde vom städtischen Gaswerk Tegel übernommen.  Die Gebäude des ehemaligen Gaswerks Tegel blieben bis auf den Gasometer erhalten und wurden wahrscheinlich weiter durch das vormalige Gaswerk Tegel der Stadt Berlin genutzt. Darauf deutet der Anschluss hin: Er blieb weiter in Betrieb und wurde noch 1936 als „Anschluss Gasanstalt Tegel“ bezeichnet und genutzt. Mitte der 1970er Jahre erfolgte der Abriss großer Teile der Gebäude des ehemaligen Gaswerks für den Bau eines Supermarktes „Eurospar“. Nur das Gebäude Ernststraße 3 ist bis heute erhalten geblieben.

 

 Das letzte noch heute erhaltene Gebäude des Gaswerks der Gemeinde Tegel. Thematisch passt der Flüssigkeitsgasverkauf. Foto 3. November 2014 Lars Molzberger

   

Die Anschlüsse des Gaswerks Tegel 1936. Archiv kremmener-bahn.net

                  

 

 

Anschluss- und Werkbahn der August Borsig AG

 

Das klassische Motiv: Eine fertiggestellte Dampflok 1915 vor dem Borsigtor. Foto Slg Lars Molzberger

 

Die Anschluss- und Werkbahn der Firma August Borsig führte vom Güterbahnhof Tegel bis an den firmeneigenen Hafen am Tegeler See. Über Weichen und Drehscheiben waren sämtliche Werksteile verbunden. Borsig hatte seine Produktion vom Wasser zur Bahn hin ausgelegt. Die Zufuhr der meisten Rohstoffe erfolgte vom Wasser aus. Nach der Produktion verließ das fertige Produkt (z.B. Lokomotive) das Werk auf dem Schienenwege in Richtung Tegel. Die Borsigwerkbahn hatte eine eigene Betriebsführung mit eigenen Werkslokomotiven. Neben dem Normalspurnetz existierte im Werk auch ein umfangreiches Schmalspurnetz für werksinterne Materialtransporte. Insgesamt hatte die Werkbahn ein Streckennetz vom 30 km Länge. Die Werkbahn wurde durch kriegsbedingte Zerstörungen stark in Mitleidenschaft gezogen und nach dem Krieg wieder aufgebaut. 1947 verließ die letzte von Borsig gebaute Lokomotive das Werk. 1981 und 1983 erwarb Borsig im Rahmen von Kompensationsgeschäften zwei Lokomotiven aus der UdSSR.  Am 1. März 1986 trat Borsig die Betriebsführung der Bahn an die Thyssen-Bandstahl GmbH ab. 1995 stellte Thyssen-Bandstahl die Produktion ein. Durch die Umstrukturierung des ehemaligen Borsig-Werkgeländes verschwand nach und nach die Werkbahn aus dem Stadtbild.


Die Borsiglok 10 rangiert im Bahnhof Tegel 1983. Foto Frank Müller

 

 

Bahnbetriebsgesellschaft Borsigwalde GmbH (BBG)

 

 

Die Lufaufnahme des Metallwerke Löwenberg AG (vormals Zimmermann & Buchloh) zeigt den Verlauf des Gleises der BBG. Foto Archiv postmaxe.de 

 

1905 siedelte sich die Eisenbahnsignal-Bauanstalt Zimmermann & Buchloh an der heutigen Holzhauser Straße an. Zu dieser Zeit dürfte auch die Anschlussbahn vom Bahnhof Tegel entstanden sein. Neben der Signalbauanstalt waren die Raboma AG (Hersteller von Bohrmaschinen) und die Deutschen Waffen- und Munitionsfabriken (DWM) die wichtigsten Anschließer. Seit 1924 betrieb die Bahnbetriebsgesellschaft Borsigwalde GmbH diese Anschlussbahn mit eigener Betriebsführung. Die Firma Otto Jachmann AG hatte einen eigenen Übergabebahnhof. Die Deutsche Reichsbahn überführte die Wagen bis zu diesem Übergabebahnhof. Von dort verteilte die firmeneigene Lokomotive die Wagen an die Anschließer der BBG. 10 Jahre später gab die Firma aus Kostengründen die eigene Betriebsführung auf. Die Deutsche Reichsbahn bediente nun selbst die Anschließer.

Auch nach 1945 verlor die BBG nicht an Bedeutung. Die Deutsche Waffen- und Munitionsfabriken firmierten seit 1952 unter den Namen Deutsche Waggon- und Maschinenfabriken (später Waggon Union). Die DWM (WU) ließ einen großen Teil ihrer Schienenfahrzeugproduktion über die BBG dem Bahnhof Tegel zuführen. Spätestens nach Schließung des Güterbahnhofs Tegel am 1. Januar 1996 wurde die BBG nicht mehr bedient. Die heute auf dem Gelände der ehemaligen Waggon Union ansässige Firma Stadler-Reinickendorf wird über die Anschlussbahn Reinickendorfer Industriebahn (RIB) bedient.

 

 

Anschlussbahn des Gaswerks Tegel der Stadt Berlin

 

 

Blick vom Gasometer  auf das Gaswerk Tegel. Rechts unten ist die Anschlussbahn sehr gut zu erkennen. Ca 1924. Foto Slg Thomas Ley

 

Die Stadt Berlin errichtete 1905 das damals größte Gaswerk Europas in Tegel. Das Betriebsgelände des Gaswerks reichte vom Bahnhof Tegel bis zum Tegeler See. Die Versorgung des Gaswerks mit Kohlen erfolgte  neben dem Wasserweg auch durch eine vom Bahnhof Tegel abgehende Anschlußbahn. In [1] steht dazu folgendes:

 

{xtypo_quote}

„Die mit der Eisenbahn  ankommenden Kohlen  werden  zunächst  verwogen  und dann,  falls  der  betreffende  Wagen  für  die  Entladung  an der Stirnwand  geöffnet  werden  kann,  auf  die  elektrisch  angetriebene Kohlensturzvorrichtung  gebracht.  Hier  wird  der  Kohlenwagen  um  die  Achse der  Kipperbühne  um einen  Winkel  von  45 Grad gedreht  und in  dieser  Lage  mittels  einer  durch  den  Standdruck des  Wagens  selbsttätig  eingerückten  Fangvorrichtung,  welche  die Vorderachse  gefaßt  hält,  federnd  festgehalten.  Die Kohle  fällt  durch die  vorher  geöffnete  Kopfbrücke  des Wagens  in den Rinnenkopf der Kipperbühne und gleitet von da in einen  Sammelrumpf,  aus dem sie in Hängebahnwagen  abgezapft  werden  kann.  Der  geleerte  Eisenbahnwagen  wird  nach  dem  Senken der Kipperbühne  über eine  Drehscheibe abgefahren… Mit dem Kipper  ist  es  möglich,  etwa  10 Eisenbahnwagen  von 10 oder 15 t Ladung  innerhalb  einer Stunde  zu entladen.  Wagen, die nur seitliche Entladung  gestatten,  werden  vor  dem Kipper  von  Hand  entleert. Der  Inhalt  wird  in diesem  Falle  unmittelbar  in die von Hand  untergefahrenen  Hängebahnwagen  gestürzt,  worauf  die letzteren  an das Zugseil  des vor dem Kippersilo  geführten  mechanisch  betriebenen Hängebahnringes  gekuppelt  werden.“ {/xtypo_quote}

Gleisplan der Anschlussbahn des Gaswerks Tegel der Stadt Berlin 1912. Archiv kremmener-bahn.net

 

Der Lokschuppen des Gaswerks lässt darauf schließen, dass eine eigene Betriebsführung im Werk existierte. Offenbleiben muss die Frage, ob die Werkslokomotive die für das Gaswerk bestimmten Wagen vom Güterbahnhof selbst abholte oder die Zuführung durch die Deutsche Reichsbahn erfolgte. Das Gaswerk wurde im Zweiten Weltkrieg schwer beschädigt und stellte 1953 seinen Betrieb ein. Das Gaswerk riss man in Etappen ab. Heute ist nur noch ein  Druckreglerhaus in der Ernststraße 10, genau neben der ehemaligen Gleistrasse der Anschlußbahn, vorhanden.

 

 

Noch heute ein Betriebsgebäude der GASAG: Das Druckreglerhaus in der Ernststraße 10. Die Zufahrt zum Parkplatz ist die ehemalige Trasse der Anschlussbahn zum Gaswerk. 3. November 2014. Foto Lars Molzberger

 

 

Eisenbahnbetriebsgesellschaft Tegel-Borsigwalde GmbH (EBG)

 

 An der Wittestraße lag die Spitzkehre der EBG. Von dort gelangte man zur Kaserne. 22. August 1993. Foto Lars Molzberger

 

 

Eine weitere Anschlussbahn, die vom Bahnhof Tegel ausging, war die Eisenbahnbetriebsgesellschaft Tegel-Borsigwalde GmbH (EBG). Das Gleis führte hinter dem Stellwerk Tsb an der damaligen Wittestraße vorbei bis fast zum Bahnhof Eichborndamm. Von dort wurde mittels einer Spitzkehre die Aufzugfirma Flohr Otis bedient. Dort endete bis 1946 die Anschlußbahn. Auf Befehl der französischen Besatzungsmacht verlegte die Firma M. Groß aus Frohnau ein Gleis von Flohr Otis bis zum Quartier Napoleon (ehemals Hermann-Göring-Kaserne).[2] Es könnte sich mit großer Wahrscheinlichkeit um das Gleis Tegel—Schönholz gehandelt haben, das die Franzosen für die Verlängerung des EBG-Gleises in die Kaserne demontieren  ließen. Von 1978 bis 1986 bediente die Borsig-Werkbahn die EBG und damit auch die Kaserne. Danach übernahm Thyssen Bandstahl und zum Schluss Rhenus mit einem Zweiwegefahrzeug die Bedienung. Mit dem Abzug der französischen Alliierten 1994 verlor die Anschlußbahn an Bedeutung. Bis auf einige Reste im Straßenasphalt ist die Strecke abgebaut.

 

 

Industriebahn Tegel—Friedrichsfelde (ITF)

 

 

Viel Betrieb im  Bahnhof Tegel-Hafen der ITF. Ca 1910. Foto Slg Lars Molzberger

 

 

Die Entstehung dieser regelspurigen Kleinbahn geht auf die Initiative vom damaligen Landrat  Herrn von Treskow des Landkreises Niederbarnim von 1905 zurück. Er wollte im damaligen Berliner Umland die Gewerbeansiedlung beschleunigen. Der Landkreis finanzierte den Bau der Strecke aus eigener Kraft. Am 2. November 1908 nahm die ITF den Betrieb von Tegel nach Friedrichsfelde auf. Der Hafen am Tegeler See war der westliche Endpunkt der ITF. Sie war ausschließlich dem Güterverkehr vorbehaltene Kleinbahn mit eigener Betriebsführung. Auf 26 km Streckenlänge durchquerte die ITF die heutigen Bezirke Reinickendorf, Pankow und Lichtenberg. Sie endete in Friedrichsfelde in der Wriezener Bahn.

Einige Anschließer der ITF:

  • Alfred Teves Maschinen- und Armaturen-Fabrik G.m.b.H Berlin-Wittenau,
  • Fahrzeugfabrik F.G. DittmannMetallbearbeitungsfirma Rieth & Sohn
  • Hauptlager der BVG für Straßenbahnen, vormals Maschinenfabrik Cyclop

Der Bahnhof Tegel war über eine Nordwestkurve zum Bahnhof Tegel-Hafen an die ITF angebunden. Güterzüge, die vom Bahnhof Tegel z.B. zum Güterbahnhof Wittenau der ITF fahren wollten, mussten im Tegel-Hafen einen Richtungswechsel (Kopfmachen) vollziehen.  Nach der Gründung von Groß-Berlin 1920 lag die komplette Strecke im neuen Stadtgebiet von Berlin. Berlin erhob Anspruch auf die ITF. Der Landkreis Barnim weigerte sich, die Strecke an Berlin zu veräußern. Es kommt zu einem langwierigen Rechtsstreit, der mit dem Verkauf der ITF an die Reinickendorf-Liebenwalde-Groß Schönebecker-Eisenbahn AG am 1. Juli 1925 endet.  Von den politischen Realitäten nach 1945 war auch die ITF betroffen. Der durchgängige Verkehr von Tegel nach Friedrichsfelde wurde 1952 eingestellt, mit dem Mauerbau 1961 war die Trennung endgültig. Die Strecke verlor an Bedeutung. Erst nach dem Bau eines Heizkraftwerks im Märkischen Viertel 1966 bekam der im Westen verbliebene Streckenabschnitt wieder mehr Bedeutung. Ab 1967 erhielt das Kraftwerk seine Kohle durch die Bahn. Die Kohlenzüge verkehrten zwei- bis dreimal in Woche. Betriebstechnisch war die ITF im West-Berliner Teil ein Bahnhofsanschlussgleis des Bahnhofs Tegel, die Fahrten im Sinne der Fahrdienstvorschrift Rangierfahrten.

 

Blick zur Schloßstraße am Zusammenlauf der Nordwestkurve und dem Streckengleis nach Lübars. Im Hintergrund die Humboldtmühle. Aufnahme 1949. Foto Archiv Postmaxe.de

 

Das Gleis der ITF in Höhe der Überführung der Kremmener Bahn. Aufnahme 10. April 1971 Foto Peter Bley

 

Mitte der 1970er Jahre standen in Tegel umfangreiche Straßenbaumaßnahmen an. Der zunehmende Individualverkehr zwang dazu, den Konfliktpunkt Straße/Schiene zu beseitigen. Als Folge dieser Straßenbaumaßnahmen verlor der Bahnhof Tegel-Hafen seinen Anschluss über die Nordwestkurve. Als Ersatz wurde die ITF mit einer Nordostkurve am 14. Dezember 1978 direkt an den Bahnhof Tegel angebunden. Im Oktober 1980 nahm  an der Buddestraße die Ortsladeanlage Tegel-Nord als Ersatz für den aufgegebenen Güterbahnhof Tegel-Hafen ihren Betrieb auf. Diese wurde jedoch kaum genutzt. Heute stehen auf dem Gelände der Ortsladeanlage Discounter.

Das Heizkraftwerk im Märkischen Viertel wurde noch bis 1994 bedient, die Berliner Eisenbahnfreunde nutzten die Strecke für Museumsfahrten. Im November 1998 wurde der Betrieb eingestellt. Im März 2014 fiel ein weiteres Gebäude der ITF den Abriss zum Opfer: Der Lokschuppen der ITF auf dem Gelände des ehemaligen Bahnhofs Tegel-Hafen, der lange Zeit als Vereinsheim des dortigen Kleingartenvereins diente, musste der Neubebauung weichen[3].

 

 Der ehemalige Loschuppen der ITf wurde im März 2014 abgerissen. Aufnahme 10. September 2010 Foto Lars Molzberger

 

 

 Quellen und weitere Links

 [1] Zentralblatt der Bauverwaltung Nr 34 1906 Seiten 214-215

 [2] LAB C Rep 309 Nr. 4504: Am 23. September 1946 teilte der Magistrat von Berlin der Reichsbahndirektion Berlin mit, dass auf Befehl der französischen Besatzungsmacht ein Gleis in die Kaserne Quartier Napoleon verlegt wurde. Die Rbd Berlin „durfte“ das Gleis nachträglich abnehmen.

[3] Zum Abriss des Lokschuppens siehe Beitrag auf Drehscheibe Online: http://www.drehscheibe-online.de/foren/read.php?17,6804447

Veröffentlicht am 3. Februar 2015

Letzte Bearbeitung am 4. Februar 2015