Der Gare Française kurz vorgestellt:

 

Telegraphische Abkürzung: keine

Inbetriebnahme: 6. Dezember 1947

Außerbetriebnahme: 28. September 1994

Architekt: unbekannt

Denkmalschutz: Ja, unter der Nr. 09010163 der Denkmalliste Berlin


Heutige Nutzung: Fa. domino world™ Club Tegel

 

 

 

Der Gare Française - eine Besonderheit der Nachkriegszeit

So mancher S-Bahn-Reisende hat das auffällige Gebäude vom S-Bahnhof Tegel schon einmal gesehen: Der Gare Française Berlin-Tegel. Inmitten der Ladestraße des ehemaligen Güterbahnhof Tegel steht dieses Fachwerkgebäude aus dem Jahr 1947. Der Gare Française, zu Deutsch Französischer Bahnhof, (im Volksmund auch „Franzosenbahnhof" genannt) ist eine Besonderheit auf der Kremmener Bahn und den Umständen des Zweiten Weltkriegs geschuldet. Als Erstes gehe ich den Grund nach, warum Frankreich zur Besatzungsmacht wurde. Dazu betrachten wir die Vorgeschichte kurz vor Ende des Zweiten Weltkriegs.

 

 

 Die Vorgeschichte - oder wie wurde Frankreich Besatzungsmacht?

Die Anti-Hitler-Koalition bestand im Zweiten Weltkrieg aus der Sowjetunion, Großbritannien und den USA. Diese kamen 1943 überein, das besiegte Deutschland zu teilen.  Die European Advisory Commission (EAC – Europäische Beratende Kommission), der 1943 die großen Drei angehörten, plante die Besatzungszonen in Deutschland. Am 12. September 1944 waren die drei Besatzungszonen für Deutschland festgelegt.Zuvor, im Sommer 1944 forderte de Gaulle eine Gleichstellung für Frankreich als Siegermacht und den Beitritt in die EAC. Am 11. November 1944 wurde die Regierung Frankreichs eingeladen, der EAC beizutreten. Leider war der Beitritt zu spät erfolgt, denn die Interessen Frankreichs waren bei der Festlegung der Besatzungszonen ein Monat vorher nicht berücksichtigt worden.  Der britische Außenminister Anthony Eden versprach  Frankreich, ihm ein Teil der britischen Besatzungszone abzutreten und Frankreichs Interessen bei den Amerikanern und Sowjets zu vertreten.

Französische Soldaten am Bahnhof Tegel. Sind sie gerade angekommen oder reisen sie in ihre Heimat zurück? 1940er Jahre. Foto Archiv Michael Grimm Tegelportal.deWelche Absichten führten dazu, dass Frankreich die Nummer Vier der Siegermächte wurde? Frankreich war der größte und stärkste Nachbar Deutschlands. Damit wollte man ein wiedererstarken Deutschlands ausbremsen. Ein weiterer Punkt war der beabsichtigte Abzug der Amerikaner nach zwei Jahren. Der amerikanische Präsident Roosevelt wollte seine Truppen nur für zwei Jahre in Deutschland stationiert lassen. Der britische Präsident Churchill wollte nach dem Abzug der Amerikaner nicht allein gegen die kommunistische Sowjetunion gelassen werden. Deshalb unterstützte Churchill die Beteiligung Frankreichs. Noch auf der Konferenz von Jalta in Februar 1945 weigerte sich Stalin zunächst, Frankreich eine eigene Besatzungszone zuzugestehen. Frankreich habe „wenig zu diesem Kriege beigetragen und dem Feind die Tore geöffnet habe“.  Schließlich erklärte er sich dann doch bereit unter der Bedingung, dass er von seiner Besatzungszone nichts an Frankreich abtreten muss. Frankreich bekam von der britischen Besatzungszone seinen Teil. Frankreich wurde durch Protektion von Großbritannien zur Besatzungsmacht.[1]

 

Der Beginn des alliierten Reiseverkehrs 1945

Der erste französische Militärzug verkehrte am 18./19. November 1945 zwischen Baden-Baden und Berlin-Wannsee ab Frankfurt/Main vereinigt mit dem amerikanischen Militärzug. Die Behandlung der Züge erfolgte in Berlin-Wannsee seit August 1945 auf der Ladestraße unter der Bezeichnung Berlin-Wannsee RTO (Railroad Transportation Office).[2] Ab dem 12./13. November 1946 verkehrte der französische Militärzug als DFA 651 dreimal wöchentlich (Di, Do, Sa) von Mainz nach Berlin-Tegel und als DFA 652 (Mi, Fr, So) von Berlin-Tegel nach Mainz. Die beiden anderen Besatzungsmächte hatten ihre Bahnhöfe in Lichterfelde-West (die US-Streitkräfte) sowie der Fernbahnhof Charlottenburg für den Personenverkehr und Spandau Gbf für der Güterverkehr der britischen Streitkräfte.[3]  Warum wählte die französische Besatzungsmacht den Bahnhof Tegel als Stützpunkt und nicht etwa den Bahnhof Gesundbrunnen, der als Fernbahnhof die nötige Infrastruktur besaß, aus? Eine mögliche Erklärung wäre diese: Das Hauptquartier der französischen Streikräfte war das Quartier Napoléon, die ehemaligen Hermann-Göring-Kasernen. Die Anschlußgleise führten damals von Tegel bis zur Fa. Flohr Otis. Von dort konnte man unkompliziert das Gleis bis in die Kaserne weiterführen.

 

Die weitere Entwicklung von 1947 bis 1990

Der erste Militärzug erreichte wie oben beschrieben den Bahnhof Tegel am 13. November 1946. Noch gab es das Gebäude des Gare Française nicht. Die Reisenden stiegen auf der Ladestraße des Güterbahnhofs ein und aus. Das Freiladegleis 19 mit dem Lastkran diente bis 1945 u.a. zum Umladen von Gütern, die einen Lastkran erforderten. Es war ein sogenanntes Stumpfgleis. Spätestens mit dem Umbau zum Französischen Bahnhof wurde das Gleis 19 verlängert und an das Anschlußgleis der Fa. Borsig angeschlossen.

Am 06. Dezember 1947 war es soweit: Das Empfangsgebäude wurde unter Anwesenheit des damaligen Kommandeurs der Französischen Streikräfte in Berlin, General Ganeval, eingeweiht.[4] Welcher Architekt dieses schmucke Fachwerkgebäude entwarf, ist leider unbekannt. Es dauerte aber nicht lange, bis für rund 13 Monate der Betrieb auf dem Gare Française ruhte. Anfang 1948 kam es zum Zerfall der Siegerkoalition mit Behinderungen der Militärzüge an den Grenzbahnhöfen. Nachdem die Sowjets am 20. März 1948 den alliierten Kontrollrat verlassen hatten, verschärften sich die Kontrollen der Militärzüge der drei Westalliierten derart, dass ab dem 21. April 1948 sämtliche Dienstzüge von und nach Berlin ausfielen. Danach begann am 24. Juni 1948 die Berliner Blockade, die erst am 12. Mai 1949 endete. Erst seit der Aufhebung der Blockade verkehrten die Dienstzüge wieder wie gewohnt.[5] Daran hat sich von 1949 an bis 1994 nichts geändert. Die Militärzüge waren den Angehörigen der Französischen Streitkräfte und ihren Familienangehörigen vorbehalten. Deutsche Reisende war die Mitfahrt verboten, es sei denn, sie hatten eine Genehmigung der französischen Militärregierung. Später durften auch Zivilpersonen und französische Schulklassen den Zug im Rahmen von Schüleraustäuschen nutzen.[5a] Die Reisezüge dienten auch den Frachtverkehr. Nicht selten führten sie Güterwagen mit sich. Verstarb ein Angehöriger der FFA in Berlin, wurde er mittels eingestellten Kühlwagen nach Frankreich überführt. Durch die Militärzüge behielt die Kremmener Bahn in Westberlin wenigstens den Hauch einer Fernzugstrecke.

 

Diese Ansicht vom Bahnsteig Tegel ist auf April 1953 datiert. Aufnahme Slg Lars MolzbergerDiese Ansicht vom Bahnsteig Tegel ist auf April 1953 datiert. Aufnahme Slg Lars Molzberger

 

Die Franzosen zeigten ihre Präsenz in Berlin. Eine französische Militärkapelle spielt am Vortag des französischen Nationalfeiertags vor dem noch nicht umgebauten Empfangsgebäude Tegel. Foto: 13. Juli 1967 Archiv www.postmaxe.deDie Franzosen zeigten ihre Präsenz in Berlin. Eine französische Militärkapelle spielt am Vortag des französischen Nationalfeiertags vor dem noch nicht umgebauten Empfangsgebäude Tegel. Foto: 13. Juli 1967 Archiv www.postmaxe.de

 

Auszug aus dem Buchfahrplan 122-33 1989/90 Der 1041 ist nicht im öffentlichen Fahrplan enthalten.Auszug aus dem Buchfahrplan 122-33 1989/90 Der 1041 ist nicht im öffentlichen Fahrplan enthalten. Klick aufs Bild zum Vergrößern

In den 1980er verkehrten die Dienstzüge als Db 1040/1041 auf den Streckennetz der Deutschen Reichsbahn. Das „b" steht für Besatzungsmacht. Bei der Deutschen Bundesbahn wurden sie als Dm 38040/38041 geführt. Für die Durchführung des Militärverkehrs auf den Strecken der Deutschen Reichsbahn kam die DV 523 Th. 3 Dienstvorschrift zur Durchführung des Eisenbahnverkehrs zwischen der Deutschen Demokratischen Republik und der Bundesrepublik Deutschland. Teilheft 3. Durchführung des Reise- und Güterzugsverkehrs der in Westberlin stationierten Besatzungstruppen zur Anwendung. Eine kleine Ironie am Rande: Laut Verteiler durfte diese Vorschrift nicht auf Dienststellen in Westberlin vorhanden sein. Der Fahrdienstleiter Tegel besaß trotzdem ein Exemplar dieser Vorschrift. Auf welcher Grundlage sollte er sich sonst berufen? Wie diese Vorschrift  „illegal" nach Tegel kam, verriet der Vater des Autors allerdings nicht.

Ausschnitt aus einem Gleisplan des Bahnhofs Tegel von 1967. Die Anlagen der Gare Francaise heißen hier Französischer Bahnhof. Plan Slg Lars MolzbergerAusschnitt aus einem Gleisplan des Bahnhofs Tegel von 1967. Die Anlagen der Gare Francaise heißen hier Französischer Bahnhof. Plan Slg Lars Molzberger 

 

Das Wagenmaterial setzte sich bis Mitte 1950er Jahre aus Reisezugwagen der ehemaligen Deutschen Reichsbahn zusammen, die von den Bestzungsmächten beschlagnahmt wurden. Danach wurden die Reisezugwagen von den Streitkräften selbst beschafft und als Privatwagen bei der Deutschen Bundesbahn eingestellt. Bis Ende 1982 trugen die Wagen eine DB ähnliches Emblem mit der Inschrift FFA (Forces Française Allemagne - Französische Streitkräfte in Deutschland). Ab November 1982 bis Januar 1990 lieferte die Fa. Waggon Union insgesamt 17 Reisezugwagen für die Französischen Streitkräfte, die fortan die Inschrft TMFB (Train Militaire Français Berlin - etwa Militärzüge der Französischen Streitkräfte in Berlin) trugen.[6]  Die Zuglok setzte sich gewöhnlich über das Anschlußgleis der Firma Borsig an den Zug nach Gleis 19. Für die Bereitstellung des Zuges in das Ausfahrgleis wurde anders verfahren: Die Ranglierlok des Bf Tegel setzte sich an den Zugschluß und setzte den Zug über den Bahnübergang Gorkistraße in das Ausfahrgleis um.

Der Gare Française 1964 aus der Luft gesehen. Das nördlich vom ihm gelegene Gebäude ist der Güterschuppen. Geoportal Berlin Lizenz dl-de/by-2-0 https://www.govdata.de/dl-de/by-2-0Der Gare Française 1964 aus der Luft gesehen. Das nördlich vom ihm gelegene Gebäude ist der Güterschuppen. Geoportal Berlin Lizenz dl-de/by-2-0 https://www.govdata.de/dl-de/by-2-0

Diese Szenerie lud geradezu zum Fotografien ein. Das Fotografieren auf Militärgelände war natürlich verboten. Die Schilder waren aber sehr klein und leicht zu übersehen. Peter Bley schildert in [7] seine Erlebnisse beim Fotografieren auf dem Gare Française. Ausgerechnet der französische Stadtkommandant beobachtete Herrn Bley beim Fotografieren und ließ ihn der Berliner Polizei übergeben. Er kam nach zwei Stunden wieder frei; der konfiszierte Film wurde auch auf Nachfrage nicht herausgegeben. Immerhin wurden die kleinen Schilder durch riesige Schilder ersetzt, die auch der sprichwörtliche „Blinde mit dem Krückstock" nicht übersehen hätte. Frank Müller hatte 1982 keine Probleme beim Fotografieren des untenstehenden Fotos.

 Frank Müller konnte am 17. April 1982 ungehindert auf dem Militärgelände fotografieren. Aufnahme Frank MüllerFrank Müller konnte am 17. April 1982 ungehindert auf dem Militärgelände fotografieren. Aufnahme Frank Müller

 

Die Entwicklung 1990 bis Heute

Am 9. November 1989 fiel bekanntlich die Mauer. Die beiden deutschen Staaten strebten die Wiedervereinigung an. Ohne die Zustimmung der Siegermächte war die Einheit Deutschlands nicht möglich. In den Zwei-plus-Vier-Gesprächen wurde über die außenpolitische Konsequenzen eines vereinigten Deutschlands beraten. Die Gespräche endeten am 12. September 1990 erfolgreich. Deutschland durfte sich vereinigen bei voller staatlicher Souveränität. Als Folge davon mussten die Siegermächte ihre Truppen aus Deutschland abziehen.

Während die britischen und amerikanischen Dienstzüge schon Ende 1990 entfielen, ließen sich die Franzosen bis 1994 unverändert Zeit. Am 30. August 1994 verkehrte der offiziell letzte Militärzug der Franzosen. Aus diesem festlichen Anlass heraus stellten die Berliner Eisenbahnfreunde e.V. ihre Dampflok der Baureihe 65 1057 zur Verfügung, die den Zug bis Grunewald fuhr.[8] Der letzte Militärzug verkehrte am 28. September 1994 nach Straßburg. Am gleichen Tag wurde der Gare Française geschlossen.[9] Danach nutzte der Nordberliner Antik-, Kunst- und Sammlermarkt etwa bis 2004 das Gebäude. Danach stand es leer. Im März 2006 wurde auf einen etwa 12000 m2 großen Areal des ehemaligen Güterbahnhof Tegel ein Seniorenpflegeheim der Fa. domino-world™ errichtet.[10] Der Gare Française wurde von der Fa. domino-world™ gekauft und denkmalgerecht saniert. Er wird für Veranstaltungen genutzt. Laut den Vorgaben des Denkmalschutzes dürfen im Innern keine Festeinbauten vorgenommen werden. Selbst der Außenanstrich erfolgte nach RAL-Farbcode.

 Am 4. Mai 2011 ermöglichte die Fa. domino-world™ dem Autor die Besichtigung des Gare Française und genehmigte das Fotografieren. Ich bedanke mich an dieser Stelle herzlich bei den Verantwortlichen von domino-world™ für die freundliche Unterstützung.

 

 

 Quellen und weitere Links

[1] Die Entwicklung der Deutschland- und Besatzungspolitik Frankreichs 1943-1949 http://www.mtholyoke.edu/~lbmelton/writing/besatzungspolitik.shtml

[2,3,5] Unbekannte Reisezüge im Berlin-Verkehr, Berliner Verkehrsblätter 02/1981 Seite 22

[4] Archiv Michael Bayer www.gleistod.de

[5a] Ergänzung durch freundlichen Hinweis von Michael Bayer

[6] Dokument von M. Kalmbach im Besitz des Autors

[7] Peter Bley, Eisenbahngeschichte(n) zwischen West und Ost in Verkehrsgeschichtliche Blätter 06/2009 Seite 164

[8,9] Berliner Verkehrsblätter 10/1994 Kurzmeldungen Seite 211 und 11/1994 Kurzmeldungen Seite 231

[10] Berliner Verkehrsblätter 08/2006 Kurzmeldungen Seite 159

 http://www.ina.fr/video/SXC9703107365/les-francais-a-berlin.fr.html   Ein Fernsehbericht aus dem Jahr 1967. Ab Minute drei Szenen vom Gare Française

http://www.dailymotion.com/video/x4zib5_tmfb-depart-de-la-gare-francaise-de_travel Die Umsetzfahrt von Gleis 19 bis Höhe Empfangsgebäude Tegel

Veröffentlicht am 22. Mai 2011. Letzte Bearbeitung 25. März 2015