Eröffnung: 4. Juni1954 als Hennigsdorf Süd

Nächster Bahnhof Richtung Kremmen: Hennigsdorf
Schließung: nach dem 13. August 1961 Nächster Bahnhof Richtung Schönholz: Heiligensee
Bahnhof vollständig rückgebaut Telegraphische Abkürzung: Sto für Stolpe Süd
Lage im Streckennetz: Kilometer 17,9 der Strecke Schönholz—Kremmen.
 

 

 

 

 

 

 

 

 

Zum Titelbild: Grenzer und Reichsbahner feiern, vielleicht einen Geburtstag. Jedenfalls konnte der unbekannte Fotograf bedenkenlos fotografieren. Eine Tätigkeit, die den normalen Fahrgast strengstens verboten war. Unbekanntes Datum

 

 

„Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser" - der Kontrollbahnhof Stolpe Süd, im Volksmund „Eierbahnhof" genannt

 

Wer hatte das  o.a. Zitat, das Lenin zugeschrieben wird, tiefer verinnerlicht als die DDR-Führung?[1] Die Kontrollbahnhöfe im Berliner S-Bahn Netz  veranschaulichten die Kontrollbesessenheit der DDR ganzbesonders und stellten die absonderlichsten Einrichtungen im S-Bahn Netz dar. Seit dem 28. Mai 1952 durften West-Berliner Einwohner nur noch mit einer Einreisegenehmigung in das DDR-Umland (ausgenommen war die Sektorengrenze nach Ost-Berlin) einreisen. Die Straßen ins Umland waren durch Straßensperren unpassierbar gemacht. Einige Grenzübergänge (z.B. an der Grenze Frohnau/Glienicke durften nur von DDR-Bewohnern für die Einreise nach West-Berlin passiert werden. Die S-Bahn fuhr weiterhin ungehindert von den Westsektoren ins Umland. Um das Einreiseverbot für West-Berliner Bürger ins DDR-Umland  auch durchsetzen zu können, wurden die S-Bahn-Reisenden seit 1952 an der Stadtgrenze Ausweis- und Gepäckkontrollen unterzogen. Kontrollbahnhof auf der Kremmener Bahn war Hennigsdorf.

Inbetriebnahme Bf Hennigsdorf Süd. Allgemeine Erläuterungen. Slg Dirk RiedigerNeue Minutenpläne für Stammzüge und Durchläufer. Slg Dirk RiedigerAnweisungen für die Personale. Slg Dirk Riediger

Die Fahrplananordnung 31/11 vom 2.6.1954 regelte die Inbetriebnahme des neuen Bahnhof Hennigsdorf Süd. Oben Auszüge aus der Fplo.

Anfangs hatten die Kontrollmaßnahmen keinen großen Einfluß auf den Fahrplan. Das änderte sich, als ab 18. Mai 1953 sogenannte Durchläuferzüge im Berliner S-Bahnnetz verkehrten.[2] Diese Züge waren für politisch exponierte Umlandbewohner vorgesehen, die auf ihrer täglichen Fahrt nach und von dem Berliner Ostsektor vor den „Verlockungen" des Kapitalismus geschützt werden sollten.  In den Westsektoren hielten sie deshalb an keinem Bahnhof, daher der Name Durchläufer. Die Durchläufer sorgten auf der Kremmener Bahn teilweise für chaotische Zustände. Die seit 1945 von Schönholz nach Velten eingleisige Strecke ließ einen 30 Minuten-Takt zu. Die zusätzlich eingelegten Züge sorgten für Verspätungen und Zugausfällen, der Fahrplan wurde zur Makulatur. Mit der Inbetriebnahme des wenig bekannten Kontrollbahnhofs Hennigsdorf Süd am 4. Juni 1954 entspannte sich die betriebliche Lage wieder. Gleichzeitig mit der Inbetriebnahme von Hennigsdorf Süd entfielen die Kontrollen im benachbarten Bahnhof Hennigsdorf. Der Bahnhof lag zwischen der Stadtgrenze bei Heiligensee und der Havel. Er bestand aus dem wieder aufgebauten zweiten Streckengleis, zwei Stellwerken B4 und W3, zwei Weichen und einen Mitelbahnsteig. Den hölzernen Mittelbahnsteig erreichte man durch eine Holztreppe niveaufrei zwischen zwei Unterführungen am westlichen Ende des Bahnhofs. Unten am Bahndamm befanden sich die Kontrollbaracken.

Die Planung der Kreuzungsstelle Hennigsdorf Süd...

Am 29. März 1954 legte das Dezernat Inv I ein Herr Gottschall ein Bauprogramm zum Bau einer Kreuzungsstelle Hennigsdorf Süd vor. Der Bau ist aus „betrieblichen Gründen" notwendig. Diese Formulierung soll euphemistisch verschleiern, dass die betrieblichen Gründe in Wahrheit politische Gründe waren, die den Bau des Kreuzungsbahnhofs notwendig machten. Gerade weil Informationen über diesen Bahnhof, der den politischen Zeitumständen geschuldet war, sehr spärlich sind, veröffentliche ich hier den vollen Wortlaut des Bauprogramms:

Bauprogramm für den Bau einer Betriebshaltestelle zwischen den Bahnhöfen Hennigsdorf und Heiligensee

Aus betrieblichen Gründen wird der Bau einer Kreuzungsstelle in km 18,0 zwischen den Bahnhöfen Hennigsdorf und Heiligensee an der Strecke Berlin - Velten erforderlich.

Die Kreuzungsstelle erhält ein etwa 600 m langes Kreuzungsgleis, einen im Durchschnitt ca 3,20 m breiten und 150 m langen hölzernen Bahnsteig, ein Stellwerk, ein Gebäude für den Aufsichtsbeamten sowie eine Abgangstreppe in der Dammböschung zu den am Dammfuß befindlichen Baracken»

Im Einzelnen:

Die Einfahrweichen in das Kreuzungsgleis werden zur Vermeidung nicht erhältlicher Sonderformen in die Geraden und zwar, aus Richtung Hennigsdorf gleich anschließend an die Havelbrücke in km 18,3 und aus Richtung Heiligensee in km 17,5 + 50 des jetzt vorhandenen Hauptgleises verlegt.

Das Kreuzungsgleis wird auf dem Planum des ehemals vorhandenen 2. Hauptgleises mit Oberbau K 49 auf Holzschwellen verlegt. Eine Verbreiterung der Dammkrone zur Erreichung eines größeren Gleisabstandes ist nicht durchzuführen. Der Gleisschotter des ehem. 2. Gleises ist noch vorhanden; muß durchgearbeitet werden und zum geringen Teil ergänzt werden. Das Kreuzungsgleis erhält Stromschienen.

Zwischen dem jetzigen Hauptgleis und dem neuen Kreuzungsgleis ist beginnend in km 18,0 + 40 ein hölzerner 0,96 m hoher und 150 m langer Bahnsteig zu errichten. Bei der Anlage dieses Bahnsteiges ist auf das Lichtraumprofil für S-Bahn anläßlich der 600 m Kurve zu achten. Zwischen dem Bahnsteiganfang und dem südlichen Widerlager der Brücke in km 18« 0 + 70 verbleibt innerhalb der beiden Gleise ein ca 25 m langer freier Platz in Höhe der Dammkrone, welcher zu befestigen und vom Bahnsteig bis zum Widerlager gegen die beiden Gleise abzuzäunen ist. Zu diesem Platz führt vom Bahnsteig eine 2 m breite mit beider selbigem Geländer versehene Treppe. Auf dem freien Platz ist in Anlehnung an die Brüstung des Widerlagers ein Dienstraum für den Aufsichtsbeamten vorzusehen.  Dieser muß mit Ofenheizung und elektr.  Lichtanschluß sowie Basa-Fernsprecher, 2 Umkleideschränken (2-fach), 1 Tisch, 3 Stühlen und transportabler Wascheinrichtung einschl.  Eimer ausgestattet sein.  Ein Anbau an den Dienstraum nimmt die Geräte und Brennstoffvorräte auf. Von einer besonderen Toilette wird Abstand genommen, da die Abortanlagen im neuen Stellwerk bzw in den Baracken am Dammfuß mitbenutzt worden können.

Etwa in der Mitte zwischen Abgangstreppe vom Bahnsteig und Dienstraum ist die vorerwähnte Einzäunung des  freien Platzes  zu unterbrechen und das  jetzige Hauptgleis mittels Bohlenüberweg zu kreuzen  (Stromschienenunterbrechung erforderlich).  Der Bohlenüberweg ist mit einer vom Aufsichtsbeamten zu bedienenden Schrankenanlage zu versehen.

Im Anschluß an den Bohlenüberweg wird eine ca 2,50 - 3,50 m breite und mit beiderseitigen Handläufen versehene Abgangstreppe in die Böschung gebaut.  Für die Befestigung des Vorgeländes am Dammfuß sind Mittel vorzusehen.

Für gute Beleuchtung des Bahnsteiges, des freien Platzes zwischen den Gleisen,  der Abgangstreppe und des Vorgeländes mittels Hochmastlampen ist  zu sorgen«

Die Brücke in km 18,0 + 70 ist auf einwandfreien Zustand der Fahrbahn für das Kreuzungsgleis zu untersuchen und erforderlichenfalls instand zu setzen.

Am südlichen Ende des Bahnsteiges, von Heiligensee gesehen rechts vom jetzigen Hauptgleis ist wegen der auf dieser Seite liegenden Schwachstromkabel ein massives Stellwerk für mechanischen Betrieb zu errichten. Höhe des Stellwerksraumes 3 m über Schienenoberkante.

An Räumlichkeiten sind erforderlich:

1 Stellwerksraum für die nachstehend beschriebenen Sicherungseinrichtungen

1 Spannwerksraum

1 Raum für Lampen, Betriebsstoffe und Geräte

1 Weichenwärterraum

1 Batterieraum

1 Kohlenraum

1 Toilette

Bei der Toilette ist zu prüfen, ob die örtlichen Verhältnisse einen Anschluß  des  Stellwerks  an die örtliche Wasserversorgung zulassen.  Wenn, ja, erhält das  Stellwerk 1 WC und außerdem 1 Handwaschbecken im Stellwerksraum.  Wenn nicht, ist ein Trockenclosett vorzusehen.

Außerdem ist vorzusehen:

Ofenheizung (Stellwerksraum und Weichenwärterraum), elektr. Lichtanschluß mit genügend Lichtquellen, 1 Tisch und 3 Stühle, 2 Umkleideschränke (2-fach), falls keine örtliche Wasserversorgung 1 transportable Wascheinrichtung, 2 Wassereimer.

Sollte Anschluß an die örtliche Wasserversorgung nicht durchführbar sein, ist in unmittelbarer Nähe des Stellwerks eine SchwengeIpumpe aufzustellen.

Für den Bahnsteig sowie die Gebäude der Kreuzungsstelle sind nach Angabe des Brandschutzdezernats der RBD Berlin ausreichend Feuerlöschgeräte zu beschaffen.

Sicherungsanlagen:

In das Stellwerksgebäude ist eine 17-tlg.  Hebelbank einzubauen und alle Weichen, Riegel und Signale hier anzuschließen.  Auf dem durchgehenden Streckengleis sind Durchfahrten in beiden Richtungen vorzusehen. Hierfür sind elektrisch gestellte Ausfahrvorsignale aufzustellen.

Die Kreuzungsstelle ist in den Streckenblock Heiligensee-Hennigsdorf einzubeziehen.  Isolierte Schienen für die Streckentastensperren und Fahrstraßenauflösungen sind vorzusehen.

Die Aufsicht hat durch Schließtaste bei der Zugschlußmeldung mitzuwirken.  Ein Starkstromanschluß für die Speisung der Auflöse- und der Vorsignalbatterie ist herzustellen.

Wegen des kurzen Abstandes zwischen den Bahnhöfen Heiligensee und Hennigsdorf Süd ist neben, dem Streckenblock der Bahnhofsblock einzurichten und zwar derart,  daß eine Folgeabhängigkeit zwischen dem Einfahrsignal Heiligensee und den Ausfahrsignalen Hennigsdorf-Süd und umgekehrt hergestellt wird»  Die Einfahrsignale sind dicht vor die Einfahrweichen zu setzen,  um einen größeren Blockabstand zu erzielen.

Für die Einführung des Bahnhofsblocks werden auf Bf Heiligensee Stellwerke Hls und Hnt, folgende Änderungen an den Sicherungsanlagen erforderlich:

Die Fahrstraßen für die Ein- und Ausfahrten sind zu trennen und die Befehle für die Ausfahrten herzustellen.

Die Zustimmungen von und nach Hennigsdorf Süd sind einzurichten.  Da der Abstand vom Einfahrsignal in Hennigsdorf­Süd aus Richtung Hennigsdorf bis zur Weiche 2 des Bf ’s Hennigsdorf nicht dem Vorsignalabstand entspricht, sind 2 Vorsignale hinter der Weiche 2 hierfür vorzusehen.  Das Vorsignal für die Ausfahrt aus Gleis 1 ist an das bis zum Bahnsteig zurückzuversetzende Signal H zu stellen, das andere Vorsignal für die Ausfahrten aus den Gleisen 5, 6 und 7 (Signale C, D, E) hinter dem Zusammenlauf der Fahrwege.  Die Vorsignale sind mit den Ausfahrsignalen in Abhängigkeit zu bringen.

Bis zur Inbetriebnahme des massiven Stellwerkes ist ein Provisorium mit Kaue, Schlüsselbrett und Fernsprecher an jeder Weiche vorzusehen.

Die genauen Forderungen für Fernmeldeanlagen und Verstro-mung der Gleise werden auf Grund dieses Bauprogrammes ermittelt und in Kürze nachgereicht.

Das EVDR wird beauftragt, alle im Zuge  der Entwicklung dieses Bauvorhabens notwendig werdenden örtlichen Erhebungen in engsten Einvernehmen mit allen in Frage kommenden Reichsbahnstellen und Dritten durchzuführen,  etwa noch offene Fragen zu klären,  weitere Veränderungen,  die  sich aus  der Durchführung der Forderungen des Bauprogramms ergeben,  in das Entwurfsheft  einzuarbeiten und alle während der Entwurfsbearbeitung mit  den Beteiligten getroffenen Vereinbarungen protokollarisch festzulegen.

Das EVDR wird gebeten, das Bauprogramm innerhalb 8 Tagen auf Vollzähligkeit zu überprüfen und mit der Abgabe der Empfangsbestätigung, anzuerkennen, daß es mit dem Bauprogramm grundsätzlich in seiner Form einverstanden ist und danach das Entwurfsheft fachtechnisch einwandfrei zum gestellten Liefertermin aufgestellt werden kann.

Aufgestellt:

Berlin, den 29.3.1954

Reichsbahndirektion Bln

Dez Inv I

gez. Gottschall

begl. (Unterschrift)[3]

 

 Das Stellwerk B4 des Bahnhofs Hennigsdorf/Stolpe Süd war bei der Hochlegung 1924/25 die Abzweigstelle Havelbrücke Foto Archiv RoggensackDas Stellwerk B4 des Bahnhofs Hennigsdorf/Stolpe Süd war bei der Hochlegung 1924/25 die Abzweigstelle Havelbrücke.Das Foto zeigt die Einweihung der wiederaufgebauten Havelbrücke am 6. Juli 1946. Foto Archiv RoggensackDas Stellwerk B4 des Bahnhofs Hennigsdorf/Stolpe Süd war bei der Hochlegung 1924/25 die Abzweigstelle Havelbrücke.Das Foto zeigt die Einweihung der wiederaufgebauten Havelbrücke am 6. Juli 1946. Foto Archiv Roggensack

 ... und die Realität

Der neue Kreuzungsbahnhof war ad hoc aus politischen Gründen projektiert und gebaut worden. Das sieht man sehr schön am Planungs- und Bauablauf: Am 29. März 1954 wurde das Projekt vorgestellt, am 4. Juni 1954 nahm der Bahnhof seinen Betrieb auf. Das sind mit Abzug der Vorlaufphase für den Bauablauf nicht mal zwei Monate. Dass bei diesem sehr knappen Bauablauf nicht gerade eine adäquate Bauqualität zu erwarten ist, dürfte klar sein. Das folgende Schreiben des Leiters des Bahnhofs Hennigsdorf ist mit 11. August 1954 datiert, also etwas über zwei Monate nach der Inbetriebnahme des Kreuzungsbahnhofs verfasst:

Durch die S-Bahnleitung der Rbd Berlin (Koll Geisler) konnten wir erfahren, daß in diesen Jahr mit der Errichtung des Stellwerkes Hnd-Süd nicht, mehr begonnen wird.  Somit müssen die Kolleginnen und Kollegen in den Wintermonaten in den provisorisch errichteten Stellwerken Dienst verrichten.  Bei dem jetzigen äußerst mangelhaften Zustand der gesamten Anlage und der ungünstigen Lage der Gebäude (Nähe der Havel und der dortigen Wiesen) in Hnd-Süd ist es unverantwortlich, die Koll.  in den Wintermonaten dort Dienst verrichten zu lassen.  Betonen möchten wir, dass wir bereits bei der jetzigen Jahreszeit, bedingt durch die schlechte Witterung, die ersten Krankmeldungen zu verzeichnen haben»

Damit eine einwandfreie Durchführung des Dienstes gewährleistet ist, müssen schnellstens folgende Arbeiten durchgeführt werden:

1.) Befehlsstellwerk B 4

Dieses Stellwerk ist aus einer alten Ruine errichtet worden.  Es sind nur einfache, zum Teil alte, verwitterte Fensterrahmen vorhanden.  Das Anbringen von Doppelfenstern ist hier unbedingt er­forderlich, zumal die Havel in unmittelbarer Nähe ist.

Der Fußboden von Stellwerksraum zum Spannwerksraum besteht nur aus einfachen Brettern, welche nicht einmal gefugt sind.  Die Folge ist, daß im Stellwerksraum ständig zugige Luft herrscht.

Ein Anbringen eines doppelten Fußbodens, sowie Auflegen von stärkeren Fußmatten, ist hier unbedingt notwendig.

Die Dachluke ist vollkommen undicht, sodaß die dort vorherrschende feuchte Luft  ständig  in  das  Stellwerk  eindringt. Außerdem hat das Stellwerk B4 keine Wasserentnahmestelle.

2.) Stellwerk W 3

Im Stellwerksraum sind nur einfache Fenster angebracht. Diese haben sich bereits so verzogen,  daß  schon jetzt mehrere Scheiben geplatzt  sind. Auch müßten hier unbedingt Doppelfenster eingebaut werden. Die Tür  zum Stellwerk äst ebenfalls nur einfach und sperrt mehrere an(?) Der sehr dürftig hergerichtete Fußboden müßte ebenfalls mit Matten ausgelegt werden. Der Riegelhebel der Weiche 1 muß mit einen Schutzkasten versehenwerden, damit bei Schnee und Frost keine Weichenstörung auftritt. Auch hier ist ebenfalls keine  Wasserentnahme möglich.

3.) Aufsicht Hnd Süd

Der Außenputz des Gebäudes für die Aufsicht ist bereits jetzt im Abbröckeln begriffen. Außerdem fehlen hier ebenfalls Doppelfenster. Da der Bahnsteig nicht überdacht  ist, muß eine Möglichkeit für die Reisenden geschaffen werden, damit sie Schutz vor der Witterung nehmen können«  Wir hatten hier bereits Absprachen mit der Rbd Berlin wegen Vergrößerung des Gebäudes.  Änderungen bzw  Zusagen sind bisher nicht erfolgt.  Wasser and ein Abort für die  dort Beschäftigten und   für die Reisenden sind nicht vorhanden.[3]

Das ist der Anspruch und die Wirklichkeit im real existierenden Sozialismus. Ob die Mängel abgestellt wurden oder wegen der Mangelwirtschaft weiterhin bestanden, darüber gibt die Akte keine Auskunft. Das zitierte Stellwerk Hnd Süd, nach der Lesart vermutlich ein mechanisches Zentralstellwerk, wurde nie realisiert. Es blieb bei den beiden Stellwerksprovisorien W3 und B4 bis zur Außerbetriebnahme im August 1961.

Die Dienstanweisung zur Bedienung des Bahnhofes Hennigsdorf Süd 

Dank eines Fundes im Archiv von Herrn Peter Bley kann ich Ihnen Details zur Inbetriebnahme des Bahnhofes Hennigsdorf Süd mitsamt eines Gleisplanes präsentieren. Es ist die Dienstanweisung für die Bedienung des Kreuzungsbahnhofes, die interessante Einblicke in die Betriebsdurchführung gewähren:

 

I. Lageplan siehe Anlage

II. Allgemeines:

An einem noch fernschriftlich bekannt zu gebenden Tage wird die Kreuzungsstelle Hennigsdorf Süd in Betrieb genommen. Die Kreuzungsstelle untersteht dem Bahnhof Hennigsdorf bei Berlin und erhält das telegraphische Rufzeichen Hds.

III. Sicherungsanlagen:

Es sind vorhanden:

a) das Befehlsstellwerk B4

Der Fdl B4 bedient:

1.) Die Einfahrweiche 4 und den zugehörigen Riegel

2.) Das Einfahrsignal M1/2

3.) Das Ausfahrsignal L

b) das Wärterstellwerk W3

Der Wärter bedient:

1.) die Weiche 1 von Hand und das zugehörige Riegelschloß

2.) die Ausfahrsignale I und K

3.) das Einfahrsignal (Hls) G

Zwischen dem Fdl B4 und dem Ww W3 besteht Bahnhofsblockung. Desgleichen besteht für die Einfahrten von Hls nach Hds und für die Einfahrten von Hds nach Hls Bahnhofsblockabhängigkeit zwischen den Fdl‘en Hls und Hds.

Der Streckenblock Hnd - Hds endet und beginnt in Hds.

Der Streckenblock Szf - Hls endet und beginnt in Hls.

Die Bedienung der Sicherungsanlagen erfolgt nach Maßgabe der ausliegenden Verschlußtafeln.

IV. Betriebliche Anordnungen:

a) Zugmeldeverfahren:

Das Zugmeldeverfahren ist auf dem Fernschreiber durchzuführen. Sämtliche Züge sind zwischen Hnd - Hds - Hls anzubieten und Anzunehmen. Das Rückmelden entfällt solange die Blockeinrichtung ordnungsgemäß arbeitet (Streckenblock C). Der Fdl Hds hat das Zugmeldebuch für eingleisige Strecken zu führen. Mit Inbetriebnahme des Kreuzungsbahnhofs Hds wird der bisher beim Fdl Hls für den Streckenabschnitt Hls - Hnd ausliegender Erlaubnischein eingezogen. Der Erlaubnischein für den Streckenabschnitt Berlin-Heiligensee—Hennigsdorf Süd wird vom Fdl Heiligensee, der Erlaubnischein für den Streckenabschnitt Hennigsdorf Süd—Hennigsdorf bei Berlin wird vom Fdl Hnd aufbewahrt.Die Geschwindigkeit beim Fahren auf Sicht beträgt bei Tage höchstens 30 km/h, für die Dunkelheit werden höchsten 15 km/h zugelassen.

Fahrwegprüfung:

b) Der Fdl der Kreuzungsstelle B4 ist für die Fahrwegprüfung vom km 17,8 - 18,4 verantwortlich und der Wärter (W3) vom km 17,460 - 17,8 verantwortlich. Der Fdl kann bei besonderen Vorkommnissen während der Dunkelheit oder bei unsichtigem Wetter die Aufsicht zur Prüfung des Fahrwegs beauftragen.

Der Dvst des Bahnhofs Hennigsdorf nimmt entsprechende Anordnungen in das aufzustellende Bahnhofsbuch auf

c) Gleichzeitige Einfahrt von beiden Seiten:

Bei Zugkreuzungen mit elektrischen S-Bahnzügen darf der aus Richtung Berlin kommende Ps auf Signal F1 nach Gleis 1 und der aus Richtung Velten kommende Ps auf Signale M2 nach Gleis 2 gleichzeitig einfahren, solange die Fahrsperre der Ausfahrsignale L und K2 von in Betrieb sind (FV § 24 (1) beachten).

Wenn die Fahrsperren der Ausfahrsignale L und K2 oder auch nur die Fahrsperre eines dieser Signale gestört ist, darf dem zweiten Zug erst die Einfahrt gestattet werden, wenn der erste Zug den Ausfahrweg des anderen geräumt hat und am Bahnsteig zum Halten gekommen ist. Durchfahrten sind nur über Gleis 1 zugelassen.

d) Durchrutschwege:

Während der Einfahrt eines Zuges in die Kreuzungsstelle Hennigsdorf Süd ist das Einfahrgleis freizuhalten:

1. für einen Zug aus Richtung Berlin bei Einfahrt in Gleis 1 bis zum Grenzzeichen der Weiche 4,

2. für einen Zug aus Richtung Velten bei Einfahrt in Gleis 2 bis zum Grenzzeichen der Weiche 1.

e) Abfahrauftrag:

Der Abfahrauftrag wird den Zügen - nach den Stellen des Ausfahrsignals - durch die Aufsicht mit Befehlsstab (Zp 9) erteilt. Bei Nichtbedienbarkeit der Ausfahrsignale ist der schriftliche Befehl Ab durch den Fdl auszustellen und durch die Aufsicht den Zf vor Erteilung des Abfahrauftrages zu übergeben.

f) Zuständige Sperrzugmeldestelle:

Für das Aussprechen unvorhergesehener Sperrungen nach FV § 30 (4b) ist der Fdl Hls für den Streckenabschnitt Hls - Hds und der Fdl Hnd für den Streckenabschnitt Hds - Hnd zuständig.

g) Unfallmeldebezirke:

Die Kreuzungsstelle gehört zum Unfallmeldebezirk des Bahnhofs Hennigsdorf (b. Berlin)

V. Der Dvst des Bahnhofs Hnd stellt beschleunigt das Bahnhofsbuch mit dem Zugschlußstellenverzeichnis, Verzeichnis besetzter Gleise, Verzeichnis der verantwortlichen Beschäftigten für die Nachprüfung der Signalbeleuchtung auf. Diese Unterlagen sind dem Amt zur Genehmigung vorzulegen.[4]

 

Gleisplan Bahnhof Hennigsdorf Süd 1954Gleisplan Bahnhof Hennigsdorf Süd 1954

 

 Folgende Aspekte fallen bei dieser Dienstanweisung besonders auf: Der Wärter des Stellwerks W3 bedient die Weiche 1 per Hand und verschließt sie mittels Riegelschloss. Außerdem bediente er das Einfahrsignal (!) G des Bahnhofes Heiligensee. Heute wäre das Signal G betrieblich ein Zwischensignal.

 

 

Zwei Grenzpolizisten scherzen mit der Aufsicht. Im Hintergrund rechts eine Kontrollbaracke. Hinten links die ehemalige Pianofabrik Schiller. Eine Schranke sicherte den Treppenzugang vor dem Gefahrenbereich des Gleises. Aufnahmedatum unbekannt. Foto Archiv RoggensackZwei Grenzpolizisten scherzen mit der Aufsicht. Im Hintergrund rechts eine Kontrollbaracke. Hinten links die ehemalige Pianofabrik Schiller. Eine Schranke sicherte den Treppenzugang vor dem Gefahrenbereich des Gleises. Aufnahmedatum unbekannt. Foto Archiv Roggensack

Anfangs diente der Bahnhof ausschließlich Kontrollzwecken und war der Öffentlichkeit nicht zugänglich. Was passierte einen West-Berliner Bürger, der versehentlich zu weit gefahren war (z.B. in der S-Bahn eingeschlafen) und in Hennigsdorf Süd aus dem Zug geholt wurde? Zeitzeugen erinnern sich, dass der Delinquent neben Durchsuchungen ein strenges Verhör erdulden musste. Kam die Grenzpolizei zu der Erkenntnis, dass der Mensch kein Spion oder im DDR-Sprachgebrauch „subversives Element" war, wurde er nicht etwa sofort entlassen. Nein, er mußte die Nacht in der Kontrollbaracke verbringen, bis nächsten Morgen die erste S-Bahn fuhr. Aber nicht nur illegal eingereiste West-Berliner traf der sozialistische Arm des Gesetzes. Der im Volksmund „Eierbahnhof" genannte Kontrollbahnhof Hennigsdorf Süd kommt nich von irgendwo her. Die Umlandbewohner wollten ihre Erzeugnisse, unter anderem auch Eier, in West-Berlin verkaufen, um an Westgeld zu gelangen. Bei Umtauschkursen von teilweise 10:1 nur allzu verständlich. Andererseits war es der DDR gar nicht recht, wenn Erzeugnisse nicht der sozialistischen Wirtschaft zu gute kamen sondern statt dessen beim verhassten Klassenfeind verkauft wurden. Wer bei den Kontrollen beim Schmuggeln erwischt wurde, dem wurde die Ware konfisziert. Die Fahrzeit zwischen Heiligensee und Hennigsdorf betrug laut Fahrplan gültig ab 2. Oktober 1955 sieben Minuten. Diese Fahrzeit teilte sich in drei Minuten Fahrzeit und insgesamt vier Minuten für Kontrolle und Abfertigung des Zuges auf.

Amtlicher Fahrplan der Deutschen Reichsbahn gültig ab 2. Oktober 1955. Der Kontrollbahnhof Hennigsdorf Süd ist nicht in der Fahrplantabelle aufgeführt. Nur ein Hinweis ganz unten im Fahrplan und die lange Fahrzeit zwischen Heiligensee und Hennigsdorf weisen auf seine Existenz hin. Man beachte die Hinweise zu den Durchläufern. Slg Mathias KohlaAmtlicher Fahrplan der Deutschen Reichsbahn gültig ab 2. Oktober 1955. Der Kontrollbahnhof Hennigsdorf Süd ist nicht in der Fahrplantabelle aufgeführt. Nur ein Hinweis ganz unten im Fahrplan und die lange Fahrzeit zwischen Heiligensee und Hennigsdorf weisen auf seine Existenz hin. Man beachte die Hinweise zu den Durchläufern. Slg Mathias Kohla

Am 3. November 1958 wurde der Bahnhof für den öffentlichen Fahrgastverkehr freigegeben und somit zu einem echten S-Bahnhof. Der Fahrgastandrang dürfte sich aber in Grenzen gehalten haben bei den wenigen Einwohnern von Stolpe Süd. Knapp ein Jahr später, am 4. Oktober 1959, wurde der Bahnhof in Stolpe Süd umbenannt. Noch waren dem Bahnhof knapp zwei Jahre Zukunft beschieden, bis ihn der Mauerbau am 13. August 1961 überflüssig machte. Weil er den Ausbau der Grenzsicherungsanlagen im Wege stand, wurden die Bahnhofsanlagen komplett beseitigt. Nur die ehemalige Unterführung eines Weges und Zugang zum Bahnhof blieb als Fundament für einen Wachturm stehen. Sie wurde erst 1998 beim Wiederaufbau der Strecke abgetragen.

Die Unterführung war der letzte Überrest der Bahntrasse zwischen Heiligensee und Hennigsdorf. Sie diente als Fundament eines Wachturms. 1990 Foto Frank MüllerDie Unterführung war der letzte Überrest der Bahntrasse zwischen Heiligensee und Hennigsdorf. Sie diente als Fundament eines Wachturms. 1990 Foto Frank Müller

 

Der Bahnhof bekommt ein Gesicht - Anmerkungen zu den Fotos

Vom Kontrollbahnhof Stolpe Süd gibt es meines Wissens bis heute keine Fotos. In den bisherigen Veröffentlichungen - insbesondere Publikationen zum Mauerbau  - wurde auf ein Foto aus dem Landesarchiv Berlin zurückgegriffen, das das Stellwerk W3 und das durchgetrennte Gleis nach dem 13. August 1961 zeigt. Fotografien der Bahnhofsanlage sind, wenn überhaupt vorhanden, selten, weil das Fotografieren in diesem sensiblen Bereich verboten war. Umso erfreuter war der Autor über das Auftauchen zweier Fotos, die wenigstens einen Teil des Bahnhofs zeigen. Der Fotograf gehörte entweder der Grenzpolizei oder der Deutschen Reichsbahn an. Anlass war wohl eine Feier, wie das erste Bild zeigt. Im zweiten Bild erkennt man den Treppenabgang zu den Kontrollbaracken. Hinter den Personen befindet sich eine Schranke, die den allzu spontanen Zutritt zum Gleis verhindern sollte.

 

 Quellen und weitere Links

[1] Das Zitat bei Wikipedia: http://de.wikipedia.org/wiki/Vertrauen_ist_gut,_Kontrolle_ist_besser!

 

[2] http://www.stadtschnellbahn-berlin.de/geschichte/durchlauf/index.php

[3] Landesarchiv Berlin C Rep 309 Nr. 5410

[4] Dienstanweisung für die Bedienung der Kreuzungsstelle Hennigsdorf Süd in Km 18,000 der Gemeinschaftsstrecke Berlin Schönholz(Tga) Velten (Mark) zwischen den Bahnhöfen Berlin-Heiligensee und Hennigsdorf bei Berlin vom 26. Mai 1954, Sammlung Archiv Peter Bley

Gespräche mit Zeitzeugen. Ich bedanke mich besonders bei Herrn Roggensack für  so manches Detail zum Kontrollbahnhof Stolpe Süd.
 

Letzte Bearbeitung: 30. September 2023